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So
ging sie zum Bachufer und blickte durchs Gestrüpp zur
anderen Seite hinüber. Dort, auf der anderen Bachseite, sah
sie ein Sternenkind im weißen Hemdchen, mit langen goldenen
Haaren und einem Stern auf der Stirn, wie es die Füße
ins Wasser hielt, sie anblickte und dabei lächelte.
Es
sprach: Es ist schon lange niemand in diesen Zauberwald
gekommen, denn in der Nacht, wenn man schläft, transportiert
er einen von einem Ort zum andern. Auch die meisten Tiere haben,
sobald sie einen Weg fanden, diesen Wald verlassen, weil sie
wußten nie, ob sie vielleicht neben einem Tiger oder auf
einem Baumstamm im Wasser treibend kurz vor dem Wasserfall
aufwachen würden. Nun warnen sie die Lebewesen, die rund um
diesen Zauberwald leben; und die wenigen, neugierigen Tiere, die
sich hier herein trauen, suchen fast alle einen Weg wieder
hinaus, sodaß die Geschichten rund um den Zauberwald immer
neue Nahrung erhalten.
So geht das nun schon seit ewigen
Zeiten. Dabei ist in diesem Wald noch niemand gestorben, es sei
denn an Altersschwäche. Und diese waren ururalt und gingen
ganz friedlich aus ihrem Dasein.
Jetzt habe ich Dir genug
erzählt, warum es hier so ist, denn ich habe gleich bemerkt,
daß Du nichts von diesem Orte wußtest. Aber nun
erzähle mir einmal, wie Du überhaupt hergekommen bist.
Die Blumenelfe erzählte von ihrer Blumenwiese hoch
oben in den Bergen und den Grund ihrer Wanderung. Sie fragte auch
das Sternenkind nach dem Grund seines Hierseins.
Dieses
sprach: Ich komme von einem Volk, das im Himmel wohnt und
auf der Erde helfend eingreift, wenn Not am Mann ist. Und wir
haben ein Übereinkommen mit dem Wald, daß wir jedes
Lebewesen, das hereinkommt, über seine Eigentümlichkeiten
aufklären. Doch fast niemand hört zu, da sie selbst
schon vielerlei Geschichten wissen. So erfahren sie auch nicht,
daß es im Wald große Schätze gibt, und daß
hier nichts zu fürchten ist, auch wenn es noch so
schrecklich aussieht.
Nun habe ich meine Aufgabe erfüllt
und kehre in meine Heimat zurück. Auf Wiedersehen!
Auf Wiedersehen, sagte auch die Blumenelfe
und winkte ihr zum Abschied noch zu. Dann machte sie sich weiter
auf die Wanderung, und wenn sie Hunger hatte, aß sie, denn
Nahrung gab es in Hülle und Fülle.
Und jede
Nacht gelangte sie an einen anderen Ort.
Am dritten Tage
traf sie einen Fuchs; doch sie fürchtete sich nicht, da sie
die Rede des Sternenkindes noch im Ohr hatte. Als sie ganz nahe
war, bemerkte sie, daß der Fuchs schon ganz verzweifelt vor
Angst war. Er erzählte von riesengroßen, schrecklichen
Steinköpfen, die Feuer spuckten, und ähnlichen
schrecklichen Dingen. Er ließ sich von der Blumenelfe nicht
beruhigen, und als ein Ast von einem Baum fiel, lief er in wilder
Panik davon.
Am siebten Tage traf sie einen uralten
Bären. Dieser erzählte, daß er, wenn er etwas
Schreckliches sah, diesem den Rücken kehrte und davonging;
auf diese Weise lebte er schon viele, viele Jahre friedlich
dahin. Schätze hatte er jedenfalls noch keine entdeckt.
Einmal sah die Blumenelfe auch einen Menschen, der lief,
daß ihm die Lungen barsten, und immer wieder zurückblickte.
Aber sie konnte nichts hinter ihm entdecken. Sie traf auch einmal
einen Frosch, der unbedingt wieder hinaus wollte, weil er sich
nach seinem Weibchen sehnte.
Und einmal, als sie am
Waldesrand erwachte, sah sie viele, viele Tiere, die draußen
am Felde standen, mit ängstlichem Blick in den Wald starrten
und miteinander tuschelten. Doch sie ging wieder in den Wald
hinein.
Sie entdeckte auch die großen, schrecklich
anzusehenden Steinköpfe, und wie sich das Sonnenlicht durch
Kristalle, die die Zähne darstellten, in viele schöne
Farben brach.
So erlebte sie viele Abenteuer, sprach mit
einigen Tieren, die sie traf und ruhig genug zum Reden waren,
entdeckte manchmal herrliche Edelsteine, die sie jedoch an ihrem
Platze ließ, und ging jedesmal, wenn sie zum Waldrand kam,
in den Zauberwald zurück. Nur eines machte ihr etwas Angst:
ein großes Loch mitten auf einer Lichtung, dessen Tiefe
sich ihren Blicken entzog.
Als sie nun schon zwölf
Monate durch den Wald gewandert war und alle Plätze und
Bewohner kannte, kam sie wieder an dieses große schwarze
Loch. Doch diesmal wollte sie es erforschen.
Mit einem
mulmigen Gefühl im Magen knüpfte sie den ganzen
Vormittag aus Lianen ein Seil, das immer länger wurde, denn
sie konnte sich nicht überwinden, hinunterzusteigen. Jedoch
zu Mittag nahm sie sich ein Herz, stieß den riesigen
Lianenberg, der ihr Seil war, ins Loch, nachdem sie ein Ende an
einem starken Baum befestigt hatte, und stieg langsam mit
Herzklopfen in die Tiefe.
Nach Stunden gelangte sie am
Boden an und war erstaunt, daß es nicht völlig dunkel
war, sondern irgendein Leuchten von den Wänden ausging. Sie
sah auch, daß ihr Seil viel zu lang war, und das
Lianenknäuel am Boden einen Tunneleingang halb verbarg.
Daraufhin kletterte sie darüber hinweg und ging in den
Tunnel hinein. Sie bemerkte, daß ein rhythmisches Schlagen,
das sie leise schon am Anfang gehört hatte, immer lauter
wurde, so laut, daß es ihr fast körperlich wehtat.
Da gelangte sie in eine große Höhle, in dessen
Mitte ein großer Feuerball war, der sich zusammenzog und
wieder ausbreitete und dabei den rhythmischen Laut verursachte.
Sie umrundete den Feuerball, konnte aber keinen anderen Ausgang
finden.
Sollte sie wieder umkehren und den überaus
beschwerlichen Weg des Hinaufkletterns wählen? Denn vor dem
Feuer hatte sie Angst. Darum setzte sie sich nieder und konnte
sich nicht entscheiden, ob sie zurückgehen oder den
Feuerball untersuchen sollte. Schließlich bemerkte sie, daß
es eigentlich gar nicht so warm war, wie es neben einem so großen
Feuer sein sollte, sondern überaus angenehm. Da getraute
sich die Blumenelfe näher an das Feuer heran, zuckte aber
jedesmal zurück, wenn sich der Feuerball ausbreitete. Das
ging so eine Weile, bis sie es einmal übersah, und sie der
Feuerball einholte, bevor sie sich weit genug zurückziehen
konnte -- und nichts war geschehen, sie war noch ganz heil.
Sie
faßte sich ein Herz und ging mutig in den Feuerball hinein.
Weißes Licht umhüllte sie, und sie gewahrte dort, wo
die Mitte des Feuerballes sein mußte, eine wunderschöne
Frau in weißem Kleid und langen weißblonden Haaren.
Vom Herzen dieser Frau ging das weiße Licht aus, und die
Blumenelfe sah auch, daß das Licht im Herzrhythmus der Frau
mitschwang.
Ganz versteinert stand sie nun da vor so viel
Schönheit, bis sie die Stimme der Frau aus ihrer
Verzauberung löste: Schon sehr, sehr lange war niemand
mehr hier, im Herzen des Zauberwaldes. Die wenigen, die bis zum
Feuerball kamen, kehrten fast alle vor diesem wieder um. Hier im
Herzen sind auch die größten Schätze verborgen.
Du hast nicht von den Edelsteinen genommen, darum bist Du es
wert, einen von meinen Schätzen zu erhalten. Doch zuerst
mußt Du noch eine Aufgabe lösen: ich habe hier eine
Harfe mit 64 Saiten. Wenn Du auf ihr ein Lied spielen kannst, das
die Herzen der Lebewesen zum Tanzen bringt, bist Du für mein
Geschenk auch würdig genug. Mit diesen Worten
überreichte die Frau der Elfe die Harfe.
Die
Blumenelfe war zuerst ängstlich, denn sie hatte noch nie
Harfe gespielt, doch dann dachte sie an die Sonne, wie sie auf
ihre Blumenwiese schien und sich in Tautropfen spiegelte, an die
Berggemsen, wie sie munter über die Felsen sprangen, an das
Sternenkind, das so lieblich am Bachufer saß, an den
Frosch, wie er von seiner Frau erzählte, an den Wind, der in
den Lüften Lieder spielte, und ihre Hände glitten wie
von selbst über die Saiten und brachten Freude in die Herzen
auf der Erde. Auch ihr eigenes Herz war übervoll vor
Glückseligkeit.
Daraufhin sprach die schöne
Frau: Hiermit übergebe ich Dir einen Zauberring. Wenn
Du diesen einmal um den Finger drehst, bist Du augenblicklich an
dem Ort, wo Du Dich hinwünschtest. Und auch die Harfe sollst
Du behalten, damit Du die Herzen erfreuen kannst. Ich wünsche
Dir viel Glück auf Deiner weiteren Reise.
Die
Blumenelfe bedankte sich überglücklich bei der schönen
Frau, drehte an ihrem Ring und war augenblicklich auf ihrer
Blumenwiese, wo sie ihren Blumen viele Geschichten zu erzählen
und auf ihrer Harfe zu spielen hatte, die dann von den
Blumeneltern an die Blumenkinder weitererzählt wurden.
Auf
der ganzen Welt reiste nun die Blumenelfe umher, sprach mit den
Kindern der Natur, spielte Freude in die Herzen und wußte
immer Neues, wenn sie an einem bekannten Orte wieder vorüberkam.
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