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Darauf
war die Blumenelfe nicht vorbereitet, aber da sie ein gutes Herz
hatte, ging sie zum Mädchen, um es zu trösten. Da auch
Rosalia ein gutes Herz hatte, war sie der kleinen Mira für
ihren Irrtum nicht böse. Sie lud sie sogar ein, eine
Zeitlang mit ihr zu reisen, um all die vielfältige Pracht
der Blumen in anderen Ländern kennenzulernen.
Mira
willigte auf diesen Vorschlag gerne ein, und so zogen sie
gemeinsam dahin und erfreuten sich an der Natur.
Eines
Tages, sie waren schon eine geraume Weile unterwegs, kamen sie in
ein dunkles Königreich. Alles war schwarz, von den Häusern
bis zu den Pflanzen. Nur manchmal sah man einen leichten
grünlichen oder bräunlichen Schimmer. Auch die Menschen
waren sehr dunkel und traurig.
Überhaupt fand man
nirgendwo irgendetwas Fröhliches.
Mira versuchte
natürlich, wenigstens ein paar Blumen lila zu färben,
was sie schon in ihrer Kindheit meisterhaft beherrscht hatte.
Doch diesmal versagten ihre Kräfte.
Die Leute in
diesem Land sprachen zwar sehr wenig, doch nach und nach hörten
die beiden doch einiges:
Das Königreich wurde
beherrscht von einem Drachen, der alles, wo doch einmal etwas
Buntes die Düsternis durchbrach, verbrannte, bis es schwarz
wurde. Der Drache hatte auch einen Gehilfen, dann allein wäre
es zu schwierig, ein so großes Reich wie dieses hier zu
verwalten. Dieser Gehilfe war ein Gespenst, das gedankenschnell
reisen konnte, und dem kein Mensch etwas anhaben konnte, da es
nicht verwundbar war. Seine Aufgabe war es, sowohl Neuigkeiten
als auch Obsidiansteine, nach denen die Menschen graben mußten,
zu seinem König, dem Drachen, zu bringen.
Mira und
Rosalia erfuhren auch, daß es an einem einzigen Tag im Jahr
verboten war zu arbeiten. Da mußte sich jeder einsperren
und die Fenster mit schwarzen Tüchern verhängen, denn
an diesem einen Tag stand der Mond über dem Land, und den
konnte der Drache nicht schwärzen. Die Menschen begrüßten
diese Regelung, weil so konnten sie wenigstens einen Tag von der
schweren Arbeit des Grabens nach Steinen ausruhen.
Mira
und Rosalia färbten sich die Haare schwarz und kleideten
sich auch in dieser Farbe, um nicht aufzufallen, und sie machten
sich auf den Weg zum Königsschloß. Vielleicht könnten
sie den Leuten auf irgendeine Art und Weise helfen?
Als
sie nach einer langen Reise zum Schloß, das eine riesige
Burg war, kamen, stand der Tag bevor, an dem der Mond über
dem Land hing. Jedermann war in fieberhafter Eile damit
beschäftigt, Öffnungen, Ritzen und Spalten zu
verhängen, daß ja kein Licht eindringen konnte. So
fielen die beiden niemandem auf, als sie ins Schloß gingen
und sich mit den Räumen etwas vertraut machten. Nur einmal
wären sie beinahe zu Tode erschrocken, als sie in den
Thronsaal kamen und den fürchterlichen, riesigen Drachen
erblickten.
Kurz bevor sich nun alle Leute in die Räume
zurückzogen, schlüpften die beiden schnell auf das Dach
hinaus, um dieser totalen Finsternis drinnen zu entrinnen. Nach
einigen Stunden ging der Mond auf, und das Paar freute sich so
sehr über das helle, gelblichweiße Licht, daß
ihre Herzen ganz von Liebe und Sehnsucht überströmten.
In diesem Mond lebte ein altes Mondmännlein, Kazian
war sein Name. Zuerst war Kazian erstaunt, als er die Signale von
Liebe und Sehnsucht empfing, doch dann steuerte er seinen Mond
sofort in die Richtung, aus der dies gesandt wurde. So kam er auf
das Dach zu Mira und Rosalia und erzählte ihnen seine
Geschichte:
Vor langer, langer Zeit, als Kazian noch jung
war, und sein Ururgroßvater noch lebte, war der Drache, der
dieses Land beherrschte, ein schöner Prinz, dessen Fehler es
war, überaus eitel zu sein und zudem noch sehr nachtragend,
wenn jemand etwas Falsches tat. Dieser Prinz hatte eine hübsche
Prinzessin gefunden und war in Liebe zu ihr entbrannt. Die
Hochzeit stand schon fest, da nannte ihn die Prinzessin einmal im
Spaß einen eitlen Gockelhahn, der sich hinter lauter Masken
versteckte.
Der Prinz war darüber so sehr in seinem
Stolz verletzt, daß er die Dunkle Macht anrief und sie
darum bat, Rache auszuüben. Die Prinzessin wurde daraufhin
in schwarzen Obsidian verwandelt, doch auch der Prinz, in der
Magie sehr unerfahren, mußte seinen Preis zahlen. Er verlor
sein Herz an die Dunkle Macht und war nunmehr dessen Werkzeug.
Nach und nach wurde er dann in einen Drachen verwandelt.
Doch
natürlich war auch eine Rettung möglich. Nämlich
der Mond von Kazian funktionierte auch als Spiegel, und wenn sich
der Prinz darin erblickte und erkannte, könnte er sich
befreien. Aber Jahr für Jahr steuerte Kazian seinen Mond
schon jahrhundertelang über das Land und fand niemals Einlaß
in das Schloß. Und endlich, fast am Ende seiner Lebenszeit,
bot sich jetzt eine Gelegenheit für Kazian,
hineinzugelangen.
Mira und Rosalia suchten daraufhin nach
einer Tür, die unversperrt war, doch es dauerte eine geraume
Weile, bis sie eine fanden. Mit furchtsamen Herzen gingen sie in
den Thronsaal; dort stellten sie erfreut fest, daß der
Drache schlief. Zuerst kletterten sie hinter einen schwarzen
Vorhang und öffneten eines der riesigen Fenster einen Spalt
breit. Dann machten sie sich daran, den Vorhang herunterzureißen,
was gar nicht so leicht war. Am Ende fielen sie unter lautem
Getöse mit allen Stoffbahnen auf den Boden.
Der
Drache erwachte natürlich über diesem Lärm, doch
es war schon zu spät, denn das Mondmännlein steuerte
bereits seinen Mond durch das große Fenster, das nun ganz
offen stand. Kazian mußte seinen Mond sogar schräg
stellen, damit er durchging. Als der Drache in den Mond blickte,
gab er ein krächzendes Ächzen von sich. Dann folgte ein
Schrei, und ein Erdbeben erschütterte die Gemäuer des
Schlosses.
Der Prinz erkannte seine wahre Gestalt mit
allen seinen Fehlern im Spiegelbild des Drachen, und die Dunkle
Macht hatte keine Gewalt mehr über ihn. Helles Licht
überstrahlte das ganze Königreich, und auch die
Prinzessin von damals wurde aus ihrem Stein erlöst. Doch es
würde sicher noch etwas Zeit brauchen, bis der Prinz seinen
ursprünglichen Körper wiedererlangte, und die Natur mit
ihren vielen Farben das Schwarz verdrängte.
Kazian
dankte Mira und Rosalia, daß sie ihm bei der Erfüllung
seiner Lebensaufgabe geholfen hatten, und als Abschiedsgeschenk
gab er ihnen einen Ring, mit dem sie Licht und alle Farben
herbeiholen konnten.
So kam es, daß nun Mira und
Rosalia gemeinsam durch die Welt ziehen, um dort Licht und Liebe
zu verbreiten, wo es benötigt wird. Und manche Menschen, die
ein Auge dafür haben, können ihre Gestalten über
die Lande wandern sehen.
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